23. August 2016

Ist Bildungsraum Nordwest am Ende?

Der Kanton Aargau verschiebt den Entscheid zu den Fremdsprachen an der Primarschule.
Vorläufig kein Frühfranzösisch, Basler Zeitung, 23.8. von Thomas Dähler


Die Aargauer Kantonsregierung hat beschlossen, bis 2020 keine Änderung am Fremdsprachenunterricht in den Aargauer Primarschulen vorzunehmen. Der Kanton Aargau wird damit, wie aus der Medienmitteilung vom Freitag hervorgeht, die von der Schweizerischen Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) verlangte Harmonisierung des Sprachunterrichts vorläufig nicht umsetzen und Französisch weiterhin erst ab der sechsten Klasse unterrichten.

Einen definitiven Entscheid hat die Aargauer Regierung in der Frage der Reihenfolge der Fremdsprachen gefällt: Der Aargau bleibt bei Englisch als erster Fremdsprache. «Mit Englisch als erster Fremdsprache ist der Kanton Aargau kongruent mit dem Kanton Zürich sowie der gesamten Ost- und Zentralschweiz», begründet die Regierung das Verdikt. Die Zugehörigkeit zum Bildungsraum Nordwestschweiz mit den Kantonen Solothurn, Basel-Landschaft und Basel-Stadt und die damit verbundenen Sprachen-Koordinationsprobleme werden in dem Communiqué mit keinem Wort erwähnt.

Die Ankündigung von Bundesrat Alain Berset, eine Bundesregelung in der Frage des Fremdsprachenunterrichts auf Primarschulstufe zu prüfen, hat damit bereits eine erste Reaktion verursacht – allerdings ganz und gar nicht im Sinne des Vorstehers des Departements des Innern. Die Weigerung, bis 2020 in der Sprachenfrage eine Anpassung vorzunehmen, begründet der Aargauer Regierungsrat unter anderem damit, dass die Situation bis 2020 auf Bundesebene unklar sei. «Bis dahin wird sich auch zeigen, ob der Bund bezüglich der Volksschulbildung und des Sprachenunterrichts in die Bildungshoheit der Kantone eingreifen wird», schreibt die Regierung in Aarau. Was sie dabei nicht sagt: Jeder materielle Entscheid zum Französischunterricht könnte in der gegenwärtigen Situa­tion auf Bundesebene als Zustimmung oder Ablehnung der von Berset angestrebten Bevormundung durch Bundesbern interpretiert werden.
Lehrplanentscheid im Februar
Immerhin: Die Aargauer Regierung anerkennt trotz ihres vorläufigen Neins, dass beim Französischunterricht in der Primar- und Sekundarschule Handlungsbedarf besteht. Aus dem Bericht an den Aargauer Grossen Rat geht hervor, dass eine Änderung auf das Schuljahr 2020/2021 möglich wäre, weil zu diesem Zeitpunkt auch der neue Aargauer Lehrplan eingeführt werden könnte. Gesichert ist dies aber noch nicht. Im nächsten Februar stimmen die Aargauerinnen und Aargauer über die kantonale Volksinitiative Ja zu einer guten Bildung – Nein zum Lehrplan 21 ab. Der Ausgang der Abstimmung ist offen. 2009 hat der Aargau das Reformpaket «Bildungskleeblatt» an der Urne verworfen und damit erreicht, dass der Beitritt zum Harmos-Konkordat im Aargau nicht mehr erwogen wird.

Der Kanton Aargau ist heute weit davon entfernt, die von der EDK beschlossene Koordination des Fremdsprachenunterrichts zu erfüllen. Gemäss dieser unterrichten die Kantone eine erste Fremdsprache in der Primarschule ab der 3. Klasse und eine zweite ab der 5. Klasse. Im Aargau wird zwar ab der 3. Klasse Frühenglisch unterrichtet. Der Französischunterricht aber beginnt in der 6. Klasse mit vier Wochenlektionen. Für Realschülerinnen und -schüler endet der Französisch­unterricht zudem nach einem Jahr schon wieder. In der Realschule, einem von drei Niveaus der Aargauer Sekundarschule, ist Französisch fakultativ.
Bildungsraum vor dem Aus
Der Aargauer Nicht-Entscheid ist auch für die Kantone Baselland, Basel-Stadt und Solothurn von Bedeutung. Die vier Kantone bilden ihre Lehrkräfte für die Primar- und Sekundarschule gemeinsam an der Pädagogischen Hochschule Nordwestschweiz aus. Diese wird deshalb nicht darum herumkommen, die angehenden Lehrerinnen und Lehrer auch in den Sprachen auf die weiterhin unterschiedlichen Schulmodelle vorzubereiten.

Der Hinweis der Aargauer Regierung auf die Koordination mit dem Kanton Zürich zeigt auch auf, dass der einst beschlossene Bildungsraum Nordwestschweiz für den Aargau keine Bedeutung mehr hat. Die Differenz mit der Reihenfolge Englisch vor Französisch bleibt mit dem Entscheid auf Jahre hinaus bestehen. Dass im Bildungsraum Nordwestschweiz Ernüchterung eingekehrt ist, zeichnet sich schon seit Längerem ab. Seit Mitte 2015 haben die vier Kantone zu keiner einzigen Frage mehr eine gemeinsame Mitteilung verfasst.

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