14. Januar 2017

Wer nicht schwimmen will, zahlt einfach

Auch für muslimische Mädchen ist der gemischtgeschlechtliche Schwimmunterricht an der Schule obligatorisch. Die Religionsfreiheit wird mit dieser Pflicht nicht verletzt. Das Urteil des Menschenrechtshofs in Strassburg von dieser Woche wurde schweizweit mit Erleichterung, teilweise gar mit Enthusiasmus, zur Kenntnis genommen. Die Basler CVP-Grossrätin Andrea Knellwolf schrieb gestern in einem Leserbrief in der Basler Zeitung: «Endlich haben wir die Gewissheit, dass wir wenigstens den frechsten Verweigerungen, unsere sozialen und gesellschaftlichen Gegebenheiten zu akzeptieren, entschieden entgegentreten und ein Mindestmass an Integration verlangen dürfen, ohne als Menschenrechtsverachter hingestellt zu werden. Danke Strassburg!»
Vom Schwimmunterricht freigekauft, Basler Zeitung, 14.1. von Alessandra Paone


Das Urteil bezieht sich auf einen Fall aus dem Jahr 2008. Der strenggläubige muslimische Vater Aziz Osmanoglu aus Basel verbot seinen damals sieben- und neunjährigen Töchtern, am Schwimm- unterricht der Primarschule teilzunehmen. Die Behörden suchten mehrfach das Gespräch mit der Familie – jedoch erfolglos. Osmanoglu stellte sich auf den Standpunkt, dass die Glaubens- freiheit seine Mädchen dazu berechtige, dem gemischtgeschlechtlichen Schwimmunterricht fernzubleiben. Es folgte ein jahrelanger juristischer Streit, der mit dem besagten Verdikt des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte nun ein Ende findet.

Auf den ersten Blick mag der Entscheid aus Strassburg tatsächlich als Durchbruch interpretiert werden. Oder zumindest als Bestätigung dafür, dass die hiesige Praxis richtig ist. Bei näherem Hinsehen stellt man jedoch fest, dass das Urteil im Wesentlichen nichts ändert. Denn wer nicht am Schwimm­unterricht teilnehmen will, der wird es auch in Zukunft nicht tun – ganz einfach, indem er sich freikauft.

Wie bei Verkehrsbussen
In Basel-Stadt werden Erziehungsberechtigte gebüsst, die ihre Pflichten verletzen. Wer sich also weigert, seine Kinder ins Schwimmen zu schicken, muss 350 Franken pro Elternteil, Kind und Schuljahr zahlen und ist vom Unterricht befreit. Osmanoglu wurde im Jahr 2010 mit 1400 Franken belangt. Dagegen legte der Muslim Beschwerde ein. Insgesamt betrugen die Sanktionen in seinem Fall 5000 Franken. Für diese Summe kam jedoch nicht er, sondern der Riehener Theologe und Unternehmer Johannes Czwalina auf.

Mehr können die Behörden aber nicht tun. «So funktioniert unser Rechtsstaat», sagt Simon Thiriet, Sprecher des Basler Erziehungsdepartements. Er zieht einen Vergleich mit der Regelung im Strassenverkehr: «Wenn Sie fünfmal in einer Woche zu schnell fahren, werden sie fünfmal gebüsst. Der Führerschein wird ihnen deswegen aber nicht entzogen.»
In einzelnen Fällen sei die Busse erhöht worden, sagt Thiriet. Das Schulgesetz lässt dafür einen Spielraum offen: Erziehungsberechtigte, die wiederholt gegen die Regeln verstossen, können auf Antrag der Schulleitung oder der zuständigen Stelle der Gemeinden mit einer Ordnungsbusse bis zu 1000 Franken belegt werden.

Änderung des Bildungsgesetzes
Verweigerungshaltung wird auch im Baselbiet bestraft, mit einer Busse von maximal 5000 Franken, wie die Bildungs-, Kultur- und Sportdirektion mitteilt. Allerdings ist dort Schwimmen nicht überall fester Bestandteil des Unterrichts. Nur an drei Sekundarschulen findet ganzjährig und regelmässig Schwimmunterricht statt. Die anderen Schulen gehen sporadisch und individuell während der Sportlektionen in ein Schwimmbad, die Primarschulen je nach Verfügbarkeit der Anlagen.


Im Kanton Baselland ist derzeit eine Anpassung des Bildungsgesetzes in der Vernehmlassung. In diesem sollen «die hiesigen gesellschaftlichen Werte» verankert werden. Bei wesentlichen Inte- grationsschwierigkeiten von Schülern mit ausländischer Staatsbürgerschaft soll zudem eine Meldung an die zuständigen kantonalen Ausländerbehörden erfolgen. Der Grund für die Gesetzes- änderung ist die Therwiler Handschlag­affäre: Weil sich zwei muslimische Sekundarschüler konsequent weigerten, ihrer Lehrerin die Hand zu geben, liess die Bildungsdirektion ein Rechtsgutachten erstellen. Dieses kam zum Schluss, dass die Gleichstellung von Mann und Frau höher zu gewichten sei als die Religionsfreiheit.

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