21. Februar 2017

Die Baustellen des Herrn Cramer

Der neue Basler Erziehungsdirektor muss sich um zahlreiche Baustellen kümmern.
Cramer muss an mehreren Fronten gleichzeitig Lösungen finden, Bild: Kostas Maros
Die Baustellen des Conradin Cramer, Basler Zeitung, 21.2. von Franziska Laur und Thomas Dähler

Behinderte Kinder in Normalklassen
Die aufwendigste Baustelle von Erziehungsdirektor Conradin Cramer dürfte die integrative Schulung sein. Lehrerinnen und Lehrer in den Primar- und Sekundarschulen stöhnen unter der Last, Verhaltensauffällige sowie körperlich und geistig behinderte Schülerinnen und Schüler gemeinsam in der Klasse mit unauffälligen oder gar hochbegabten Kindern unterrichten zu müssen. Sie erhalten zwar Verstärkung durch Heilpädagogen und ein Heer von Spezial-Lehrkräften, doch dies bringt oft mehr Unruhe als Entlastung. In den Schulzimmern ist es manchmal so laut, dass Schüler unter Konzentrationsschwierigkeiten leiden. Annemarie Pfeifer von der EVP hat denn auch den ersten Anzug an die Adresse des neuen Bildungsdirektors eingereicht. Sie möchte, dass die Schwächen dieses neuen Schulmodells behoben werden. Ausserdem solle der Regierungsrat mithilfe einer Studie aufzeigen, ob sich die integrative Schule überhaupt bewährt. Weiter solle abgeklärt werden, welche Folgen der erhöhte Stress auf das Wohlergehen der Lehrkräfte habe.

Der Bedarf an Schulraum steigt
Conradin Cramer wird auch an der Schulhaussituation noch schwer arbeiten müssen. Zwischen 2012 und 2020 wird der Kanton 790 Millionen Franken in die Sanierung und Neuerstellung von Schulhäusern stecken. Kürzlich stellte sich jedoch heraus, dass dieses Geld nicht reichen wird. So steht man mitten in der zweiten Planungsphase. Vorgesehen ist ein neues Sekundarschulhaus für rund 60 Millionen Franken und eines für die Primarschule für rund 35 Millionen Franken. Wie Simon Thiriet, Pressesprecher des Erziehungsdepartements, sagt, sei noch nicht klar, wo diese gebaut werden sollen. Dem Finanzkommissionsbericht für das Budget 2017 ist zu entnehmen, dass der Bedarf an Schulraum im Entwicklungsgebiet Klybeck noch offen ist. Anzunehmen ist, dass auch mit zwei zusätzlichen Schulhäusern der Bedarf noch nicht gedeckt ist. Nur schon im Klybeck und auf dem Felix-Platter-Areal entstehen in absehbarer Zeit Hunderte neue Wohnungen, was zusätzlichen Bedarf an Schulräumen nach sich zieht. 

«Schö barl Fronse» – das neue Sprachbad
Immer mehr Fachleute bezweifeln, dass die von sechs Kantonen gemeinsam gestaltete Einführung von Frühfremdsprachen mit einer neuen Methode sinnvoll ist. So musste in Bern der Grammatikteil der Aufnahmeprüfung für das Gymnasium gestrichen werden, da die Schüler noch kaum Verben konjugieren können. Basel war nur deshalb nicht mit diesem Problem konfrontiert, weil bei den freiwilligen Prüfungen fürs Gymnasium kein Französisch, sondern nur Deutsch und Mathematik abgenommen wird. Die schlechten Französischkenntnisse der heutigen Schüler liegen nicht zuletzt an der neuen Lernmethode des Projekts Passepartout. Diese vernachlässigt Grammatik und Vokabeln. In der Praxis werden den Schülerinnen und Schülern Originaltexte vorgesetzt, deren Bedeutung sie oft nicht verstehen. Auch Fehler machen ist Teil des Konzepts. So schreiben die Kinder anfangs «schö», ohne dass dies berichtigt wird. Die mangelnden Kenntnisse müssen dann Gymnasiallehrer oder Eltern nachträglich ausbügeln.

Einheitliche Checks sollen Standards sichern
Mit der Einführung des Kompetenzenkatalogs des Lehrplans 21 werden die Leistungstests für die Volksschule zentral. Die Kantone Aargau, Solothurn, Baselland und Basel-Stadt haben gemeinsam die Einführung von sogenannten Checks zum Ende der dritten, sechsten, achten und neunten Klassen beschlossen. Damit sollen die Leistungen der Schülerinnen und Schüler im Bildungsraum Nordwestschweiz überprüft und verglichen werden. Doch der Bildungsraum Nordwestschweiz steckt in der Krise, und damit auch die gemeinsamen Leistungstests. Noch werden die Checks weiterhin grösstenteils durchgeführt, doch ein Abschlussbericht für die vier Kantone ist seit 2014 keiner mehr erschienen. Zurzeit hat Basel-Stadt den Vorsitz im Bildungsraum Nordwestschweiz. Zu Conradin Cramers Aufgaben gehört es, sich um die Zukunft des Bildungsraums zu kümmern. Auch um die Checks. Immerhin wurde den KMUs versprochen, die Schulen würden ihre Abgänger nach einheitlichen Standards prüfen. 

Verpflichtungen des Harmos-Konkordats
Der Kanton Basel-Stadt hat die Interkantonale Vereinbarung über die Harmonisierung der obligatorischen Schule unterschrieben. Basel-Stadt erfüllt dabei fast alle Verpflichtungen des Harmos-Konkordats. Nicht Harmos-konform ist in Basel-Stadt einzig der Übertritt ins Gymnasium, der gemäss Harmos schon nach dem 10. Schuljahr (der Kindergarten wird mitgezählt) erfolgen sollte. Doch im Vergleich zu anderen Kantonen muss sich Conradin Cramer bei den Harmonisierungs-Fortschritten wenig Sorgen machen. Eine nächste Bilanz planen die Kantone 2019. Koordinationsdefizite bestehen vor allem bei den Sprachen, wo Basel-Stadt aber alle vereinbarten Eckwerte einhält. Offen ist allerdings, ob die angestrebten gleichwertigen Kompetenzniveaus für Englisch und Französisch erreicht werden. Das wird erst überprüfbar sein, wenn die ersten Jahrgänge mit der neuen Regelung die Schule verlassen. Noch nicht sehr weit sind die Kantone – auch Basel-Stadt – bei der im Konkordat vereinbarten Koordination der Lehrpläne und Lehrmittel. 

Die umstrittenen neuen Sammelfächer
Basel-Stadt hat zwar den Lehrplan 21 längst eingeführt, auch in den Sekundarschulen. Doch was aus den neuen Sammelfächern des Lehrplans 21 wird, ist noch immer offen. Denn für «Räume, Zeiten, Gesellschaften» und «Natur und Technik» gibt es noch keine ausgebildeten Lehrkräfte und auch noch keine Lehrmittel. Deshalb unterrichten weiterhin Geschichts-, Geografie-, Chemie-, Physik- und Biologielehrerinnen und -lehrer. Doch irgendwann muss Conradin Cramer das Provisorium in eine solide Lösung überführen, denn die Schülerinnen und Schüler brauchen das Rüstzeug für die weiterführenden Schulen. Nicht ganz ausgeschlossen werden kann allerdings, dass Basel-Stadt auf den seinerzeitigen Entscheid zugunsten der Sammelfächer zurückkommt. Die Nachbarkantone Baselland und Aargau werden nämlich den Lehrplan 21 ohne die neuen Sammelfächer einführen. Im Sinne der einst angestrebten Harmonisierung wird sich der Basler Erziehungsdirektor deshalb nochmals dieser Debatte stellen müssen. 

Der Lehrplan 21 in der Umsetzungsphase
Als erster und damals einziger Kanton arbeitet Basel-Stadt seit August 2015 mit dem Lehrplan 21. Während sich nur einzelne Basler Lehrer offen dagegen aussprachen, bekam das neue Regelwerk in den Reihen der Politik, Wissenschaftler und auswärtigen Lehrkräfte immer mehr Gegner. Zu normierend, zu standardisierend, urteilten sie. Es finde ein Paradigmenwechsel Richtung Ökonomisierung der Schule statt. Acht Jahre lang hatten 200 Experten an dem Werk geschraubt. Herausgekommen ist das wohl aufwendigste Bildungspapier, das das hiesige Schulwesen je gesehen hat. 470 Seiten stark mit 2304 Kompetenzstufen, welche die Schüler im Lauf ihres Weges erreichen sollen. Doch in mehreren Kantonen sind die Lehrplan-Gegner in Volksabstimmungen gescheitert. Dabei herrscht die vorgängige Meinung, dass der Lehrplan nicht eins zu eins umgesetzt werden muss. So wird sich Conradin Cramer vor allem mit der individuellen Umsetzung des Lehrplans durch die Pädagogen beschäftigen müssen.



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