19. Februar 2017

Wolter: Bildungsbürokratie lasse sich empirisch nicht belegen

Angesichts knapper Finanzen kommt auch das Bildungssystem unter Druck: Wieso etwa steigt die Zahl der Beschäftigten in Erziehung und Unterricht immer weiter, obwohl die Schülerzahlen gesunken sind?
Von Geld und Geist, NZZ, 17.2. von Marc Tribelhorn
Bildung sei unser einziger Rohstoff, predigen Politiker von links bis rechts. Und sie liegen damit sicher nicht falsch. So wurde im letzten Vierteljahrhundert kräftig geklotzt: Laut dem Bundesamt für Statistik verdoppelten sich die öffentlichen Bildungsausgaben in der Schweiz zwischen 1991 und 2014 von 18,6 auf 36 Milliarden Franken. Während das Kostenwachstum lange parallel zu den öffentlichen Gesamtausgaben verlief, ist seit 2008 sogar eine Beschleunigung zu beobachten. Diese Investitionen in die eigenen Köpfe und damit in die Zukunft des Landes waren wenig umstritten, solange der Wirtschaftsmotor brummte. Doch seit sich die Finanzlage von Gemeinden, Kantonen und Bund verschlechtert hat, steht auch das teure Bildungssystem wieder zur Disposition. Es droht allenthalben der Sparhammer. Die Gretchenfrage der kommenden Jahre lautet: Kann die öffentliche Hand weniger Geld ausgeben, ohne Abstriche bei der Qualität zu machen?

Teure Sonderpädagogik
Wer im statistischen Dickicht nach den Kostentreibern sucht, wird schnell fündig: Die Anzahl der Beschäftigten im Bildungssektor ist markant gestiegen. Gab es 1991 in Erziehung und Unterricht noch rund 139 000 Arbeitsplätze, waren es Ende 2016 bereits 214 000 (in 100-Prozent-Stellen gerechnet). Damit und mit den in verschiedenen Kantonen leicht angehobenen Lehrerlöhnen lässt sich zumindest ein Teil des Wachstums erklären, schliesslich macht die Besoldung der Lehrkräfte rund 50 Prozent der gesamten Bildungsausgaben aus. Das Problem ist indes komplex.

So hatte etwa der demografische Wandel, der ab den 1990er Jahren gesamtschweizerisch zu tieferen Schülerzahlen geführt hat, nicht automatisch weniger Stellen im Bildungswesen zur Folge. Laut dem Bildungsökonomen Stefan Wolter seien vielerorts einfach die Klassen verkleinert worden, was keine Einsparungen gebracht habe. Im Gegenteil: «In den Gemeinden, in denen es immer weniger Schüler gibt, sorgt die Nichtschliessung von Schulen und Klassen für viel höhere Pro-Kopf-Kosten.» Aus Sicht der Lehrer sei der Wunsch nach kleineren Klassen zwar nachvollziehbar, doch gebe es keine Indizien, dass sich leicht grössere Klassen negativ auf die Schülerleistungen auswirkten.

Im Zuge der Schulreformen seien zudem die Tagesstrukturen ausgebaut sowie im Bereich der sonderpädagogischen Massnahmen viele neue Stellen geschaffen worden. Wolter spricht in diesem Zusammenhang auch von einer «angebotsinduzierten Nachfrage». Soll heissen: Je mehr Sonderpädagogen an Schulen eingesetzt werden, desto häufiger werden auch Diagnosen gestellt und Förderprogramme für Schüler bereitgestellt. Gemäss Statistik ist ausserdem der Bereich der tertiären Bildung, welche die Hoch- und Fachhochschulen umfasst, in den letzten Jahrzehnten massiv ausgebaut worden, was sich nicht zuletzt in den Personaletats spiegelt. So ist allein zwischen 2004 und 2013 die Anzahl der Vollzeitstellen auf der Tertiärstufe von 10 000 auf über 15 000 gestiegen.

Silvia Steiner, die neue Präsidentin der Erziehungsdirektorenkonferenz, erwähnt als kostentreibende Faktoren ebenfalls die Universitäten, den Aufbau der Fachhochschulen und pädagogischen Hochschulen sowie die Einführung der Berufs- und der Fachmaturität. Das Resultat sei jedoch erfreulich: «Die Leute sind heute besser ausgebildet.» 1995 habe die Anzahl der Abschlüsse auf der Tertiärstufe noch 22 Prozent betragen, 2014 waren es bereits 50 Prozent.

Diffuse Bildungsbürokratie
Geht es um die steigenden Kosten, verweisen Kritiker gerne auch auf die «Bildungsbürokratie», die sich überproportional ausgebreitet habe – mit Monitorings und immer neuen Reformen. Empirisch belegen lässt sich dies aber nicht, wie Stefan Wolter festhält. Ohnehin sei das Sparpotenzial in diesem Bereich vernachlässigbar. Zum Vergleich: Die Pisa-Studie kostet pro Jahr eine Million Franken, die obligatorische Schule im gleichen Zeitraum 20 Milliarden Franken.


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen