14. Juni 2017

Gendergerechte Kinderliteratur

«Gegen eine Dummheit, die gerade in Mode ist», notierte Theodor Fontane resigniert, «kommt keine Klugheit auf.» Als der preussische Schriftsteller diese Zeilen im 19. Jahrhundert schrieb, gab es keine schwer bewaffnete Sprachpolizei, keine Gender-Studies-Lehrstühle an den Universitäten und schon gar keine mit Steuergeldern finanzierte Gleichstellungsbüros in den kantonalen Verwaltungen.
Überflüssig wie ein Kropf, Basler Zeitung, 13.6. von Roland Stark


Er konnte sich also nicht vorstellen, dass einmal in einem Kinderbuch von Astrid Lindgren die «Negerkönige» durch «Südseekönige» oder in den Schoggifabriken die «Mohrenköpfe» durch «Schaumküsse» ersetzt würden. Auch in der geliebten «Kleinen Hexe» von Otfried Preussler sind die «Eskimofrauen», «Hottentottenhäuptlinge», die «Chinesinnen als Menschenfresser» und die «Türken mit roten Mützen und weiten Pluderhosen» einer rigorosen Säuberung zum Opfer gefallen. Nur die Basler Verkehrsbetriebe (BVB) haben die Zeichen der Zeit noch nicht begriffen. Unverdrossen machen sie Jagd auf die bösen Schwarzfahrer, ohne dass die Eidgenössische Kommission gegen Rassismus bisher interveniert hat.

Und Sigfried Schibli schreibt in der Besprechung der Händel-Oper im Theater Basel von «Alcina, einer stolzen Negerkönigin wie aus dem Bilderbuch». Bereits in der Kritik des Schauspiels «Idomeneus» hatte er, dem Zeitgeist tapfer widerstehend, an die «zehn kleinen Negerlein» erinnert.

Theodor Fontanes Fantasie hat sicher auch nicht ausgereicht für die Vorstellung, dass im Hinblick auf den Deutschen Evangelischen Kirchentag in Wittenberg die vertrauten Texte des Liederbuchs in eine «gerechte Sprache» umgeschrieben werden mussten. In Matthias Claudias Gedicht «Der Mond ist aufgegangen» gibt es zwar (noch) keine Möndin, doch «so legt euch denn, ihr Brüder» wurde flugs umgedichtet in «so legt euch Schwestern, Brüder». Selbstverständlich durfte auch «Lobet den Herren» nicht stehen bleiben. «Lobet die Ew’ge» heisst nun das holprige, dafür politisch korrekte Versmass und «O treue Hütrin» anstelle «O treuer Hüter». Auflage des Machwerks aus dem Atelier eines überdrehten Gutmenschentums: 265 000 Exemplare.

Eine derartig riesige Leserschaft wird die Medienmitteilung des Basler Präsidialdepartements mit der Überschrift «Himmelblau und Rosarot: Kinder- und Jugendbücher ohne Rollenklischees» nicht erreichen. (6. Juni 2017, 9.48 Uhr). Fast ist man versucht zu sagen, Gott sei Dank.

Das Gleichstellungsbüro präsentiert eine Sammlung von 55 Büchern, in denen (angeblich) aussergewöhnliche Geschlechterrollen geschildert werden. «So sind Mädchen oder junge Frauen in aktiven und verantwortungsvollen Rollen vertreten, und Jungs und junge Männer werden in atypischen Lebens­entwürfen oder von ihrer emotionalen Seite gezeigt.» Gemeint ist etwa die Abenteuergeschichte eines Mädchens oder die Geschichte eines Jungen, der sich für Mode interessiert. Selbstverständlich fehlt auch nicht der jedem einigermassen intelligenten Erzieher bekannte Hinweis, dass nicht alle Mädchen rosarot lieben und Model werden möchten und dass nicht alle Jungs Profi­fussballer oder Pilot als Berufswunsch angeben.

Mit den Empfehlungen, behauptet die Abteilung Gleichstellung von Frauen und Männern, werde auf «ein Bedürfnis und einen Wunsch von Lehrpersonen, Vätern und Müttern, Grosseltern, Gottis und Göttis» eingegangen.

Bereits vor mehr als vier Jahren hatten die Gender bewegten Mitarbeiter dieses dringliche Bedürfnis aufgespürt und umgehend befriedigt. Als Sonderausgabe für den Kanton Basel-Stadt gaben das Erziehungs- und das Präsidialdepartement gemeinsam ein Büchlein aus der legendären Pixi-Reihe mit dem Titel «Theatertrubel im Kindergarten» heraus. Die Hauptrollen spielten darin der Kindergärtner Herr Grieder und Leyla, die auf jeden Fall Ritterin werden will.

Leider wurde bis heute mein Anliegen, der Kanton solle doch auch noch eine Fortsetzung unter der Überschrift «Baschi und die Waschmaschine» oder «Lukas, der Lokomotivführer» publizieren, nicht erfüllt. Der Spiegelhof jedenfalls liefert unterdessen spannenden und unterhaltsamen Stoff in Hülle und Fülle, der problemlos für eine mehrbändige Ausgabe reichen würde.

In Griffnähe zu dem Computer, auf dem dieser Artikel entsteht, liegen seit wenigen Tagen auf dem Fussboden mehrere Stapel Bücher. Sie sollen den enormen Lesehunger meiner Töchter stillen und stammen aus dem Keller- und Estrich-Fundus ihrer Eltern und Grosseltern. Der Haufen ist noch ungeordnet und hat die strengen Zollschranken der Political Correctness noch nicht überwunden.

Von den 55 angepriesenen Büchern des Gleichstellungsbüros findet sich in den Regalen der Kinderzimmer ein einziges: Die dumme Augustine – der 1972 erschienene Klassiker von Otfried Preussler. Stattdessen Bücher von Enid Blyton, Federica de Cesco, Michael Ende, Cornelia Funke, Paul Maar, Wolfgang Ecke, Alfred Hitchcock (???), ­Astrid Lindgren, Stefan Wolf (TKKG), Erich Kästner, Lisa Tetzner, Lewis Carrol, Max von der Grün, Wilhelm Busch und Heiri Strub. Daneben noch Asterix, Tintin, Calvin und Hobbes, Tim und Struppi und Lucky Luke. Kaum eines dieser bekannten Werke würde den engmaschigen Fangnetzen der Sprachpolizei entwischen können.

Keineswegs erfüllt die Literatur das Kriterium der «Geschlechtergerechtigkeit» und baut natürlich auch nicht auf «dem aktuellen Wissensstand der Geschlechter- und Gleichstellungsforschung» auf, verwendet auch nicht, wie von den Behörden in «Geschlecht im Lehrplan» wärmstens empfohlen, «die wissenschaftlich fundierten Begrifflichkeiten».
Allerdings trotze ich auch künftig beharrlich dem Zeitgeist. Als Lehrer, Vater und Götti. Noch so viele Studien, Merkblätter, Broschüren und Er­zie­hungsratgeber werden es nicht schaffen, Max und Moritz, Obelix, Winnetou, Pippi Langstrumpf, Tina und Tini, die fünf Freunde oder Perry Clifton aus dem Bücherschrank zu entfernen.

Damit meine Kinder «unterschiedliche Geschlechterbilder entdecken können» und die «Entwicklung der eigenen Persönlichkeit» gestärkt wird, bin ich auf die Ratschläge des Präsidialdepartements nicht angewiesen. Als Bürger ist es mir hingegen ein ernstes Anliegen, dass mit meinen Steuergeldern sorgfältig und haushälterisch umgegangen wird. Im vorliegenden Fall kann davon keine Rede sein.

Roland Stark ist früherer SP-Grossrat und -Präsident. Er ist Lehrer, Vater zweier Töchter und Götti.


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