14. August 2017

Föderale Lösungen sind nicht immer gerecht

Föderale Lösungen sind nicht immer gerecht. Dies trifft auf die Aufnahmebedingungen an Mittelschulen besonders zu. Franz Eberle von der Universität Zürich fordert von den Kantonen faire Standards.

"Gleiche Chancen bei gleicher Fähigkeit", NZZ, 14.8. von Jörg Krummenacher


In der Westschweiz wird den Jugendlichen der Eintritt ins Gymnasium leichter gemacht als in den meisten Kantonen der Deutschschweiz, entsprechend höher ist dort die Zahl der Mittelschüler. Weshalb ist das so?

Das ist begründet durch die traditionelle Kultur der kantonalen Bildungshoheit im Rahmen des Schweizer Föderalismus. Entsprechend autonom ist das Mittelschulwesen in Bezug auf die Maturaquote und die Aufnahmebedingungen. In der Westschweiz besteht die Tradition, eher ins Gymnasium zu gehen und weniger eine Berufsausbildung zu machen, während die Berufsausbildung besonders in der Ostschweiz ein höheres Gewicht hat. Auffallend ist auch, dass Kantone, die eine Aufnahmeprüfung voraussetzen, tendenziell eine härtere Selektion machen als jene Kantone, die vor allem die Vornoten berücksichtigen. Ganz gewiss ist es aber nicht so, dass die Jugendlichen in der Westschweiz intelligenter sind als in der Deutschschweiz.

Ist daraus zu schliessen, dass beim Eintritt in ein Gymnasium keine Chancengleichheit unter den Kantonen besteht?

Ja, wir haben tatsächlich eine Chancenungleichheit. Das finde ich deshalb problematisch, weil mit der Maturität der Zulassungsausweis für die Universitäten auf nationaler Ebene erworben wird. In Kantonen, die schliesslich auch eine höhere Maturitätsquote ausweisen, kommen die Jugendlichen leichter zu diesem Zulassungsausweis. Das finde ich ungerecht.

Sie sind demnach für eine Angleichung der kantonalen Aufnahmebedingungen für die Gymnasien?

Ich würde es gut finden, wenn man daran arbeiten würde. Eine radikale Lösung wäre, national eine identische Aufnahmeprüfung durchzuführen. Aber das wäre keine schweizerische Lösung, das hielte ich für falsch. Ich finde hingegen, dass man einen guten Ausgleich finden muss zwischen kantonaler Autonomie und vergleichbaren Standards bei der Aufnahme. Ein Weg dazu wäre, über die Kantonsgrenzen hinauszuschauen, sich auszutauschen und zu vergleichen, wie die Aufnahmeverfahren in den einzelnen Kantonen laufen. Meines Wissens findet das bis jetzt nicht oder zu wenig statt. Das Ziel ist Chancengleichheit bei gleicher Leistungsfähigkeit.

Kommt hinzu, dass in Kantonen, in denen das Bestehen einer Aufnahmeprüfung vorausgesetzt wird, immer mehr Schüler Ergänzungskurse besuchen müssen, um intakte Chancen zu haben. Sie kosten Geld. Daraus ergibt sich ein zusätzlicher Nachteil für wenig Begüterte, die sich dies nicht leisten können.

Das ist aber weniger ein Problem der kantonal unterschiedlichen Anforderungen. In Kantonen mit strengeren Aufnahmebedingungen, meist durch Prüfungen, florieren solche Vorbereitungskurse in der Tat. Diese können sich Begüterte eher leisten. In Kantonen, in denen die Selektion aufgrund der Vornoten erfolgt, gibt es dieses Problem weniger. Aber auch dort besuchen Jugendliche Nachhilfeunterricht, was sich weniger Begüterte entsprechend weniger leisten können. Das heisst übrigens nicht automatisch, dass ich eine Selektion mit Vornoten automatisch für das bessere Instrument halte.

Welches Aufnahmeverfahren für die Mittelschule würden Sie denn empfehlen?

Ich finde eine gemischte Lösung gut – mit einer klaren Priorisierung für die Aufnahmeprüfung. Dazu muss man die Vor- und Nachteile der einzelnen Instrumente benennen. Bei der reinen Abstützung auf Vornoten gibt es ein Gerechtigkeitsproblem, weil in besseren Klassen strenger und in schlechteren Klassen weniger streng benotet wird. Man kann also Noten aus verschiedenen Klassen nicht einfach miteinander vergleichen. Deshalb finde ich eine Aufnahmeprüfung das fairere, objektivere Instrument. Anderseits weiss man aber auch, dass Aufnahmeprüfungen eine Momentaufnahme sind und mit Fehlern behaftet sein können. Deshalb muss man für jene, welche die Aufnahme knapp verpassen würden, auch die Vornoten und allenfalls weitere Faktoren einbeziehen, zum Beispiel Lernmotivation oder kognitive Fähigkeiten. Man darf aber nicht vergessen: Ein völlig objektives Selektionsverfahren gibt es nicht.

Interview: Jörg Krummenacher


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