12. Oktober 2017

Leistung der Lehrer mehr schätzen

Früher galten Lehrer kraft ihres Amtes als Respektpersonen. Heute nicht mehr. Franziska Peterhans vom Lehrerverband LCH findet das nicht nur schlecht. Als Wilhelm Buschs «Max und Moritz» erschien, war noch ein Aufschrei der Empörung zu hören, nicht zuletzt, weil die zwei Lausbuben dem strengen Lehrer Lämpel übel mitspielten. Vor gut 150 Jahren waren Lehrer noch Respektspersonen. Und heute? Es kursieren Witze wie dieser: «Wer hat am Morgen Pause und am Nachmittag frei? Die Lehrer.»
Grafik: SRF
Was bleibt vom einstigen Prestige? SRF, 11.10.


Nur auf Rang 15 von 21
Mehr als 91'000 Lehrerinnen und Lehrer zählte die Schweiz 2016. Ihr Ansehen in der Öffentlichkeit? Es hat in den letzten 50 Jahren gelitten. Beim Global Teacher Status Index von 2013 landet die Schweiz auf Platz 15 von 21.
Aber da sind nicht nur die Witze. Da sind auch die Eltern, die es wagen, bei Schulkonflikten immer mehr mit dem Anwalt zu drohen oder tatsächlich rechtliche Schritte gegen Entscheide einzuleiten.

Franziska Peterhans, Zentralsekretärin LCH erklärt, warum es nicht nur schlecht ist, dass Lehrer nicht mehr gefürchtete Autoritätsperson ist und was den Lehrberuf zu neuer Attraktivität verhilft.

SRF News: Früher war der Lehrer eine Autoritätsperson, neben Arzt und Dorfpfarrer – und heute?
Franziska Peterhans: Das gilt heute sicher nicht mehr. Allerdings auch für den Arzt und den Pfarrer nicht. Das ist aber eine gute Entwicklung.

Warum?
Die Gesellschaft ist vielfältiger geworden. Es gibt andere Berufe, die hohes Ansehen geniessen. Und die Gesellschaft ist weniger autoritätsgläubig. Der Lehrer auf dem hohen Thron, vor dem man zu viel Respekt oder sogar Angst hat, das ist vorbei.

Seit den 1960er Jahren ist der Männeranteil bei den Lehrberufen stetig gesunken. Mittlerweile unterrichten über 80 Prozent Frauen auf der Primarschulstufe. Parallel sind die Löhne der Lehrpersonen tiefer geworden. Ein Zufall?
Ich kritisiere das sehr, aber es scheint eine Entwicklung zu sein, dass bei Berufen, in denen vermehrt Frauen arbeiten, das Ansehen und vor allem auch die Löhne sinken. In den Pflegeberufen lässt sich übrigens dasselbe Phänomen erkennen.
Die Männer meiden den Lehrberuf. Es würde sie aber brauchen. Denn Bildung ist eine Sache von Männern und Frauen.

Inwiefern spielt auch eine Rolle, dass es wenig Aufstiegschancen gibt?
Man weiss aus Untersuchungen, dass es Männern wichtiger ist, beruflich aufzusteigen, «Karriere» zu machen. Das beeinflusst die Berufswahl und die Laufbahn. Man weiss auch, dass Männern die Höhe des Lohnes wichtiger ist. Ein Bildungsökonom sagte einmal: Niemand wird wegen dem Lohn oder den Aufstiegschancen Lehrer. Aber viele junge Männer werden nicht Lehrer, weil diese Bedingungen nicht stimmen.

Dabei erhalten Lehrer in der Schweiz vergleichweise hohe Löhne.
Wenn man die absoluten Zahlen mit dem nahen oder ferneren Ausland vergleicht, dann stimmt das. Aber: Wir haben auch die weitaus höheren Lebenshaltungskosten. Man muss die Lehrerlöhne innerhalb der Schweiz betrachten. Der LCH hat dazu verschiedene Studien bei namhaften Wirtschaftsprüfern in Auftrag gegeben. Alle kamen zum Resultat: Die Lehrer verdienen viel zu wenig für die Arbeit, die sie leisten. Wenn man mit anforderungsgleichen Berufen in der Privatwirtschaft vergleicht, dann sind die Löhne bis zu 20 Prozent zu tief.

Der Lohn ist ein Punkt, mit dem Lehrer unzufrieden sind. Ein anderer ist das Ansehen, das sie in der Öffentlichkeit geniessen. Das zeigt ein Bericht des LCH von 2014.
Tatsächlich hat die Umfrage ergeben, dass nur ein Viertel der Lehrpersonen sich sehr oder in hohem Masse von der Gesellschaft angesehen fühlen, der Rest fühlt sich eher weniger respektiert. Zwei Drittel der Befragten sind aber auch der Meinung, dass ihnen die Eltern ihrer Schülerinnen und Schüler grosse Wertschätzung entgegenbringen.

Ist dies kein Widerspruch?
Wir ziehen daraus den Schluss: Personen, die tagtäglich in die Arbeit der Lehrer einsehen, bringen ihnen die grössere Wertschätzung entgegen als Personen, die keinen Kontakt zu ihnen pflegen – zum Beispiel, weil sie keine Kinder haben.

Und wie ist es mit den Kindern? Gibt es mehr Lausbubenstreiche als früher?
Eine gesunde Lehrperson lässt sich von Lausbuben nicht einschüchtern. Es gibt heute jedoch immer wieder ganz schwierige disziplinarische Situationen mit Kindern. Trotzdem haben wir in der Umfrage eine grosse Zufriedenheit ermittelt über das Verhalten und dem Respekt, die Schüler ihren Lehrpersonen gegenüber zeigen. Es gibt aber auch einzelne kräftezehrende Ausnahmen.

Und bei den Eltern? Es gibt doch eine Tendenz, dass diese immer öfter rechtlich gegen Lehrer vorgehen.
Dies ist eine Entwicklung, die auch in anderen Bereichen zu sehen ist, nicht nur in der Schule: Man klagt gegen alles und jeden. Es ist tatsächlich üblich geworden, dass Eltern rechtlich vorgehen, wenn sie mit einer Beurteilung oder Behandlung ihrer Kinder nicht einverstanden sind.

Früher war es vielleicht so, dass ein Lehrer einem Schüler eine Ohrfeige gab. Wenn dann das Kind zuhause davon erzählte, kassierte er von den Eltern grad nochmals eine Ohrfeige. Man hatte den gleichen Erziehungsstil wie der Lehrer, wollte auch keine Schwierigkeiten. Das war aber für die Kinder sicher keine gute Situation.

Was macht der LCH, um das Ansehen in der Bevölkerung zu steigern?
Wir haben immer wieder darüber diskutiert, ob der LCH eine Imagekampagne starten soll für den Lehrberuf. Es gibt auch kantonale Verbände – wie zum Beispiel Sankt Gallen – die das gemacht haben. Unser Dachverband will aber am Image arbeiten, indem wir für die Verbesserung der Rahmenbedingungen für Lehrpersonen kämpfen. Das ist nachhaltiger, als wenn wir nur überall verkünden würden, was für ein schöner Beruf Lehrerin oder Lehrer doch sei.

Auch ohne Imagekampagne: Die Zahl der Studierenden an den Pädagogischen Fachhochschulen steigt. Wie erklären Sie sich diese neue Begeisterung für den Lehrberuf?
Die goldenen Zeiten der Banken und Versicherungen sind vorbei. Deren Image hat Risse bekommen. Es wächst eine neue, wieder mehr werteorientierte Generation heran. Viele junge Menschen erleben die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen wieder als hoch sinnvoll.

Auch Männer spricht der Beruf wieder mehr an.
Junge Männer wollen sich mehr ihren Familien und dem eigenen Haushalt oder einem aufwändigen Hobby widmen können. Sie wollen deshalb Teilzeit arbeiten. Und das ist ein grosser Pluspunkt am Lehrberuf: Dass dies möglich ist.

Denken Sie, dass das Ansehen wieder steigen wird?
Ich sehe erste Zeichen dazu. Aber wir sind weit davon entfernt, das Problem gelöst zu haben. Der Bedarf an Lehrkräften ist enorm, die Anzahl an Schülern und Schülerinnen steigt massiv. Da reichen die 10 Prozent mehr Studierenden an den Pädagogischen Hochschulen nicht aus, um die Lücke zu füllen, die durch die anstehenden Pensionierungen vieler Lehrkräfte entstehen wird. Wir bräuchten doppelt so viele.

Und eine Rückkehr zur Autoritätsperson Lehrer?
Da möchte ich das Rad nicht zurückdrehen. Es geht einfach darum, dass man die Arbeit und Leistungen der Lehrer in der Gesellschaft mehr schätzt und sich die Rahmenbedingungen verbessern. Davon profitieren letztlich auch die Schüler.


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen