24. April 2018

Schulleiter sollen die Ansprüche der Bildungsverwaltung filtern

Die Schule erfüllt eine der wichtigsten gesellschaftlichen Aufgaben. Doch die Lehrerinnen und Lehrer, die diesen Service public leisten, sind häufig angeschlagen und ausgebrannt: Viele kommen an die Grenze ihrer Kräfte, wie vor kurzem eine Studie in der Westschweiz ergeben hat. Woran das liegt, weiss der Psychologe Jürg Frick, der sich seit Jahren mit der Gesundheit im Lehrberuf befasst.
Was tun gegen die Überforderung der Lehrer, SRF, 22.4. von Sabine Bitter


SRF: Was sind die grössten Belastungen von Lehrerinnen und Lehrern?
Jürg Frick: Ein Problem im Lehrberuf ist, dass man nie fertig ist: Sie können eine Unterrichtsstunde immer noch besser vorbereiten, einen Ausflug noch attraktiver gestalten, jedes Jahr weitere zusätzliche Projekte übernehmen und bei einem Problemfall noch mehr und noch mehr Elterngespräche führen. Eine Schwierigkeit dabei ist, sich im richtigen Moment von übermässigen Ansprüchen abzugrenzen – auch den eigenen.

Belastungen ergeben sich auch aus den zunehmenden Ansprüchen von Eltern. Ich habe selbst eine Situation erlebt, in der sich Eltern auf den Standpunkt stellten, dass ihr Sohn das Anrecht auf eine gute Zeugnisnote habe. Schliesslich seien sie in der Gemeinde potente Steuerzahler. Es kommt auch vor, dass Eltern mit einem Anwalt oder mit der Presse drohen.

Wie sieht ein gesunder Arbeitsplatz in der Schule aus?
Die Raumverhältnisse in einem Klassenzimmer sind wichtig. Es braucht genügend grosse Schulzimmer mit einer guten Lüftung, denn die CO2-Werte sind häufig sehr schlecht. Auch Lärmdämmung ist ein Thema: In Deutschland ist Tinnitus eine anerkannte Berufskrankheit bei Lehrpersonen.

Es ist auch nicht in Ordnung, dass sie jahrelang in provisorischen Pavillons unterrichten müssen, die auf dem Pausenplatz stehen. Nötig sind zudem Räume, in denen sie sich erholen und auch einmal Pause machen können.

Was kann die Schulleitung tun, um die Lehrkräfte zu unterstützen?
Das beginnt schon bei der Anstellung. Nicht jede Lehrperson eignet sich für jede Klasse. Es ist nicht sinnvoll, einem jungen Lehrer, der frisch aus der Ausbildung kommt, eine Klasse zu übergeben, an der sich erfahrene Lehrkräfte in den letzten Jahren schon die Zähne ausgebissen haben.

Wichtig ist, dass die Schulleitung bereit ist, die Lehrperson in einer schwierigen Situation anzuhören und bei der Lösung des Problems zu unterstützen. Dazu gehört, auch einmal zu fragen, was eine Lehrperson in einer spezifischen Situation braucht.
Wichtig und kostenlos ist weiter, dass sie den Lehrerinnen und Lehrern gegenüber eine wertschätzende Haltung einnimmt. Zur Kunst einer guten Schulleitung gehört auch, die Ansprüche der Bildungsbehörden sinnvoll zu filtern. Hier ist weniger manchmal mehr.

Welche bildungspolitischen Massnahmen wären nötig?
Pointiert gesagt, wäre schon einiges getan, wenn die Schulbehörden die Erkenntnisse der Gesundheitsforschung ernst nehmen würden. Unterrichten ist neben der Vermittlung von Wissen intensive Beziehungsarbeit, was bei einer Klassengrösse von bis zu 25 Kindern kaum zu leisten ist.

Kleinere Klassen sind deshalb ein vordringliches Anliegen, umso mehr, als die individuelle Förderung der Schülerinnen und Schüler wichtiger geworden ist. Nötig sind auch genügend Stunden für die Integration durch Heilpädagoginnen. Das kostet. Und es kommt sofort das Argument, es sei naiv, mehr Geld für die Schule lockerzumachen.

Anderseits können die Lehrkräfte als die wichtigsten «Personalentwickler der Nation» betrachtet werden. Es geht also um die Frage, was eine Gesellschaft in die Bildung der zukünftigen Generation investieren will.

Und was können Lehrkräfte selbst tun, um in ihrem anspruchsvollen Beruf auf Dauer gesund zu bleiben?
Eine gute Ausbildung ist wichtig. Entscheidend ist die Fähigkeit, eine Klasse gut führen zu können. Vorteilhaft ist weiter, dass sich Lehrpersonen selber auch als Lernende sehen können, dass sie sich nicht schämen, wenn sie Schwierigkeiten haben, sondern Hilfe holen – sei es im Kollegium, bei der Schulleitung oder ausserhalb.

Es braucht immer auch eine Reflexion darüber, ob die eigene Art und Weise, mit Problemen umzugehen, angemessen ist. In all diesen Bereichen gibt es in der Schweiz ein ausgebautes Angebot an Weiterbildungsmöglichkeiten.

Das Gespräch führte Sabine Bitter.







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